Künstler und Kunstvermittler
Art and Art Education
Jeder ist ein Kunstvermittler
Früher, da war Kunst so etwas wie ein Heiligtum. Ein Werk wurde betrachtet und irgendwie ging man davon aus, dass ein Kunstwerk eine wohltuende Wirkung hatte. Selbständig zog man los, hielt vor einem Werk inne und wenn dieses einem nichts sagte, schritt man weiter. Kunst durfte auch unverständlich sein.
Heute wird von der zeitgenössischen Kunst viel verlangt. Sie soll schön, inspirierend, kritisch und auch lustig sein. Kunst darf und soll den Betrachtenden herausfordern, aber nur so fest, dass man noch etwas versteht. Und wer Kunst nicht versteht, ist selber schuld: Denn nichts sagend ist heute kein Kunstwerk mehr.
Die grosse Gewinnerin dieses Zustands ist die Kunstvermittlung. Diese stellt sich neben das Kunstwerk und erklärt, ergänzt und entschlüsselt es. Im persönlichen Gespräch, im Workshop oder in Wort und Bild garantiert die Kunstvermittlung einen erfolgreichen Kunstkonsum.
Vor 50 Jahren sagte der deutsche Kunstschaffende Joseph Beuys, „jeder ist ein Künstler.“ Heute sagen alle, sie seien Kunstvermittler. Sie sind aber auch KünstlerInnen, KuratorInnen, und Kritiker-Innen. Dies mag in der momentan herrschenden Unzugänglichkeit der zeitgenössischen Kunst gut und wichtig sein. Denn die Kunst kommt mit der Vermittlung wieder verständlicher, zugänglicher und süffiger daher. Die Auswirkungen dieses Vermittlungswahns müssen jedoch beachtet werden.
Was für eine Botschaft wird mit der omnipräsenten Kunstvermittlung den Kunstschaffenden gegeben? Dürfen sie nun vollkommen abdriften, weil sie wissen, das KunstvermittlerInnen Worte für ihr Tun finden werden? Müssen sie sich überhaupt noch um das Publikum kümmern?
Und was ist das für eine Botschaft an das Publikum? Gibt es den richtigen Kunstkonsum? Muss für den kompletten Museumsbesuch ein Audioguide oder ein Informationsblatt hinzugezogen werden? Ist das Publikum für den selbständigen Kunstkonsum zu dumm geworden? Wer heute ein Museum besucht, muss sich entscheiden, ob man die Führung besuchen will oder ob man die selbständige Expedition wagt.
Beuys ging von einem Menschen aus, der kreativ und phantasievoll ist. Mit seiner Aussage, „jeder ist ein Künstler“ meinte Beuys einzig, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, sich mit seinen kreativen Fähigkeiten zu beschäftigen und zu entfalten. Kunstvermittlung geht oft von einem Menschen aus, der diese schöpferischen Möglichkeiten nicht besitzt und dem ein geführter Zugang zur Kunst aufgezeigt werden muss. Auch Beuys würde die KünstlerInnen auffordern, die Vermittlung wieder in ihr Repertoire aufzunehmen. Sie haben mit ihren Werken ein Instrument in der Hand, das sich bestens für die Vermittlung ihrer Gedanken und Gefühlen eignet. Dazu brauchen sie keine VermittlerInnen! Denn wenn Kunstwerke von einer externen Vermittlung abhängig sind, schärft dies weder die Botschaft noch die Verständlichkeit – es reduziert sie auf die Worte des Vermittlers. Kunstvermittlung kanalisiert und unterdrückt die Kreativität und Phantasie der Kunstbetrachtung.
KunstvermittlerInnen sollen wie KunstkritikerInnen als MitspielerInnen gesehen werden - sie sollen Brücken bauen und Urteile bilden. KünstlerInnen sollen Kunstwerke machen, die einem auf eine Reise mitnehmen und nicht auf eine Reise schicken.
Kunstvermittlung
Kunstvermittlung. Das ist nicht einfach nur ein Modewort. An vielen Hochschulen ist es ein Studium, in Museen eine nicht mehr wegzudenkende Dienstleistung und an öffentlichen Schulen eine didaktische Höchstleistung. Kunst wird heute vermittelt. Daran müssen (oder werden) sich Kunstschaffende und Publikum gewöhnen. Was als Kunstvermittlung verstanden wird, ist, wie immer bei frisch gebackenen Disziplinen, noch sehr unklar. Klar ist jedoch, und hier sind sich alle einig: Kunstvermittlung braucht es.
Wer vermittelt, stellt sich zwischen zwei Beteiligte, die nicht (mehr) so gut miteinander klarkommen. Im Falle der Kunst-vermittlung sind das die Kunstschaffenden, die mit ihrer unverständlichen Kunst das Publikum alleine lassen. Das Publikum findet zeitgenössische Kunst oft anstrengend und hat den Zugang zu ihr verloren. KunstvermittlerInnen sind nicht nur KunstversteherInnen, sie sind auch Meister im Bereinigen, Erklären, Nachfühlen, Unterscheiden und Bilden. Eine mögliche Rezeption eines Werkes versucht die Kunstvermittlung beim gemeinsamen Museumsrundgang aufzuzeigen. Bei solchen Führungen fliessen kunsthistorisches Hintergrundwissen mit biografischen Informationen und technischen Details eines Werkes zusammen. Wird alles miteinander verwoben, kann das einzelne Werk verstanden und die Ausstellung schliesslich erschlossen werden. Dass (mehr) Wissen zum Verstehen führt, ist jedoch nur eine Seite der Kunstvermittlung.
Es gibt auch den bunten, verspielten und praktischen Zugang zur Kunst. Er findet in Ateliers und Werkstätten statt. Hier sind alle Künstler. Alles was entsteht, wird konsequenterweise auch zum Kunstwerk deklariert. Unter den infantilen Bildern und unfertigen Skulpturen entsteht jedoch selten etwas, was den Weg ins Wohnzimmer findet. Das Geschaffene wird oft liegengelassen. Mitgenommen werden Erfahrungen. Beispielsweise dieses mulmige Gefühl zu Beginn einer Zeichnung. Diese Leere des A4 Formats. Wenn die Kunstvermittlerin die schrecklichen Skizzen betrachtet und zum weiteren Desaster motiviert, beginnt bei manchen ein Spiel mit Papier, Gedanken und Bewegungen. So als ob man den Stift spazieren gehen führt. Bei der Kunstvermittlung in Museumswerkstätten begegnen viele Teilnehmende jedoch auch einem Problem, mit dem der Bildhauer und Maler Giacometti ein Leben lang gekämpft hat: Dem Zweifeln und Scheitern! Giacometti wusste genau, was er machen wollte und wie seine Werke aussehen sollten. Dazu beobachtete er seine Modelle eingehend. Meinte er schliesslich, die Formen der Modelle gefunden und verstanden zu haben, begann er mit der Umsetzung. Bei der Realisation gab es jedoch immer Abweichungen. Die Differenzen zwischen dem, was er machen wollte und dem, was er machte, brachten ihn zum Verzweifeln. Bei dieser Form von Kunstvermittlung geht es demnach nicht um Wissen oder Verstehen. Vielmehr ist es ein Versuch, Erfahrungen mit Kunst zu ermöglichen.
Die beiden Formen der Kunstvermittlung konkurrieren sich keineswegs. Das Potential der Werkerschliessung entsteht in der Vermischung. Die Kombination beider Angebote wird jedoch sehr selten gewählt. So sind es vorwiegend Schulkinder, die in der Museumswerkstatt zu KünstlerInnen werden, während die Erwachsenen die Führung bevorzugen. Im Museumscafé kommen die Göttis, Grosseltern und Eltern mit ihren Kindern schliesslich wieder zusammen. Einige werden sich über die Farbkleckse auf den Pullis nerven. Andere werden fragen, was sie denn Schönes gemacht und erlebt haben. Was die Kinder dann erzählen, ist eine dritte Form und die vielleicht beste Kunstvermittlung. Sie ist konkret, verständlich und wird mitgenommen. Genau so soll Kunstvermittlung sein.
Elitäre Kunstvermittlung
Wer es mit einem Kunstwerk ins Museum geschafft hat, nimmt oft auch einen Platz in der Kunstgeschichte ein. Und auch wer das Museum als Gast besucht, gehört zu einer Minderheit. Nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung besuchen regelmässig ein Kunstmuseum. Das Museum ist also nicht der Ort, an welchem sich die Gesellschaft und die Kunst begegnen.
Wer ein Museum betritt, der will Kunst betrachten. Fragt man genauer nach, werden grundsätzlich zwei Motivationen ersichtlich. Der eine Museumsgast besucht die Kunstausstellung, um sein Allgemeinwissen über Kunst zu verbessern. Dieser Besuch hat oft einen beruflichen oder studienbezogenen Beweggrund und könnte auch als Fortbildung bezeichnet werden. Dabei wird eine bestimmte Kunstrichtung oder ein Kunstschaffender verfolgt, ein Originalwerk betrachtet oder eine eigene Meinung zu einem Werk gebildet.
Der Andere besucht die Ausstellung, um Bilder und Unterhaltung ungeniert zu geniessen. Der Museumsbesuch wird als Erholung und Freizeitvergnügen gesehen. Daher findet der genüssliche Besuch auch selten alleine statt. Der soziale Austausch ist neben dem Konsum von Schönem ein wichtiges Element.
So bequem und offen der Museumsbesuch auch klingt, so kritisch muss auch betrachtet werden, wer Kunstmuseen überhaupt besucht. Es ist ein kleiner Kreis der Gesellschaft, der sich im Museum bewegt: Rund 40% der BesucherInnen sind zwischen 20 und 30 Jahren alt. Auch die bis 20jährigen sind übervertreten, denn viele Bildungsinstitutionen haben den Museumsbesuch mit ihren Schulklassen zum Pflichtprogramm gemacht. Über 50jährige machen nur noch einen Fünftel aus. Und obwohl in Kunstmuseen zu 80% Werke von Männern gezeigt werden, besuchen seit kurzem mehr Frauen als Männer die Museen. Wie einheitlich die kleine Gruppe der BesucherInnen ist, zeigt sich zudem, wenn neben dem Alter auch der Bildungshintergrund und gegenwärtige berufliche Tätigkeiten betrachtet werden. Unter all den verschiedenen Museumsarten weisen Kunstmuseen das mit Abstand elitärste Publikum auf. Der Anteil der AkademikerInnen und Studierenden hat in den letzten Jahren stetig zugenommen und einen Stand von über 80% erreicht. Personen aus tiefen Bildungsschichten, Hausfrauen und solche, die sich nicht künstlerisch betätigen, sind vom musealen Kunstkonsum praktisch ausgeschlossen. Das Publikum der modernen Kunst ist eine geschlossene Gesellschaft, die sich im Museum erholt und sogar noch weiterbildet.
Wer Erholung und Weiterbildung als Motivationen für den Museumsbesuch angeben kann, der weiss bereits viel über Kunst. Und wer Kunstwissen, Museumserfahrungen und Betrachtungsstrategien hat, der lässt sich Kunst oft auch nicht erklären. So wird die Kunstvermittlung in Museen von vielen Kunstexperten ignoriert: Sie haben es nicht nötig, schliesslich kennen sie sich aus. Museumsbesucher und Besucher eines Vermittlungsangebots sind zwei verschiedene Menschen. Der eine ist aufgeklärt, gebildet, autonom und oft selber künstlerisch tätig. Der andere unbeholfen, neugierig, mutig und offen. Die unzähligen Angebote der Kunstvermittlung richten sich an alle – nur nicht an ExpertInnen. Für sie gibt es in Museen fast keine Weiterbildungsmöglichkeit. Denn die Museen richten sich mit massgeschneiderten Vermittlungsangeboten vorwiegend an tiefere Bildungsschichten. Aus der marktwirtschaftlichen Perspektive ist dies geschickt, denn die Führungen sind meist ausgebucht und bringen Geld. Bildung muss jedoch vom Markt unabhängig sein und darf nicht zum Event mutieren.
Langfristig muss sich die Kunstvermittlung entscheiden, wem sie sich gegenüberstellen will, wen sie bilden will und was sie bieten kann. Dazu braucht es keine neuen Konzepte, es reicht eine Haltung, und diese schliesst auch die Elite mit ein. Alles andere ist arrogant.
Mitmachen und Mitdenken
Thomas Hirschhorn beispielsweise arbeitet im Projekt Bataille Monument partizipativ. Anlässlich der Documenta11 (2002) zieht der Künstler in eine Wohnung der Friedrich-Wöhler-Siedlung am Rande von Kassel. Er will mit den Menschen vor Ort ein Werk schaffen. Oder ein Monument, wie er es nennt. Dazu benutzt Hirschhorn viel Klebeband, Holz, Karton, Plastik- und Aluminiumfolie, Bücher und fotokopierte Texte. Hirschhorn realisiert das Projekt nicht mit Hilfe von kunstinteressierten StudentInnen oder SpezialistInnen, er will das Projekt mit den SiedlungsbewohnerInnen verwirklichen und fragt diese, ob sie ihm bei der Ausführung helfen können und wollen. Viele lassen sich vom neuen NachbarInnen anstecken und beteiligen sich.
Gleich zu Beginn des Aufbaus wird die private Filmkamera aus der Wohnung von Hirschhorn gestohlen. Im Buch Bataille Monument beschreibt Hirschhorn seine Betroffenheit und die Zweifel, die durch den Diebstahl ausgelöst wurden. Hirschhorn denkt an den Projektabbruch, da ihm dieser Eingriff zu weit geht, setzt er sich doch für die Anliegen der Siedlung ein. Er kommuniziert seine Betroffenheit den BewohnerInnen und signalisiert ihnen, dass sie aktiv in das Geschehen eingreifen können. Die BewohnerInnen der Friedrich-Wöhler-Siedlung sind nicht nur MitspielerInnen, sie sind für Hirschhorn die HauptdarstellerInnen, welche auch die Regie übernehmen können. Das gestohlene Material taucht wieder auf und innert wenigen Wochen entsteht in der Siedlung eine Bibliothek, ein Imbiss, eine Videothek, ein TV-Studio, eine Skulptur und ein Fahrdienst, der die Documenta11-BesucherInnen in die Wohnsiedlung bringt. Als Künstler ist Hirschhorn Initiator und Auslöser, der die BewohnerInnen zum Mitmachen, Mitdenken und Mitfühlen einlädt.
Partizipation hat sich in der Kunstwelt etabliert. Viele Kunst-schaffende involvieren das Publikum, machen es irgendwie zu Beteiligten. Doch zwischen Mitmachen und Mitdenken gibt es einen bemerkenswerten Unterschied. In fast jedem Museum gibt es eine Arbeit, bei der man beispielsweise die Spielzeug-Pistole seiner Kinder in eine Vitrine wirft. Oder man wird aufgefordert, eine Botschaft in eine Tastatur zu tippen, die dann an die Fassade des Museums projiziert wird. All diese „partizipativen“ Werke stellen die BesucherInnen einzig vor die Entscheidung, ob sie mitmachen wollen oder nicht. Wer einwilligt, erlangt die Erlaubnis, einen vom Kunstschaffenden definierten Ablauf zu absolvieren. Dies ist Disneyland.
Die BewohnerInnen der Friedrich-Wöhler-Strasse hingegen haben gezeigt, was aus Mitdenken, Mitgestalten und Mitmachen entstehen kann. Sie haben mit Hirschhorn einen Vergnügungspark gebaut – ein gemeinsames Kunstwerk. Die BewohnerInnen wurden zu Kunstschaffenden und die Documenta-BesucherInnen blieben das Publikum. Diese Trennung unterscheidet Partizipation von seiner Light-Version. Noch werden beide Formen als Partizipation verstanden. Die Light-Variante ist jedoch reine Unterhaltung und sollte auch so benannt werden. Wer aber im Entstehungsprozess eines Kunstwerks Entscheidungen trifft und mitarbeitet, der schafft sich damit einen eigenen Zugang zum künstlerischen Werk: Das ist Partizipation und ein Ziel der Kunstvermittlung.